Denver: Statt Cowboys zieht es Naturliebhaber der Alternativszene in die einstige Goldgräberstadt - WELT (2024)

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Zwischen Hirschen, Bären und Büffeln starrt ein Bison von der Wand. Auge in Auge mit dem Tier sitzen hungrige Gäste an karierten Tischdecken, dann kommt das Essen: geräucherte Büffelwurst, gebratener Alligatorschwanz und zum Nachtisch ein „Rocky Road Brownie“.

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Am Nachbartisch scherzt ein amerikanisches Seniorenpärchen über die Wildwest-Kulisse. „Meine Frau sagt, mein Kopf würde sich auch gut machen zwischen den Hirschgeweihen“, ruft der Mann herüber. Alle lachen.

Das 1893 gegründete „Buckhorn Exchange“ in der Osage Street ist mit 131 Jahren das älteste Restaurant in Denver, der sogenannten „Mile High City“ auf 1600 Metern Höhe im US-Bundesstaat Colorado. In den Saloon zog es einst Viehzüchter, Bergleute, Silberbarone, Indianerhäuptlinge, Spieler, Geschäftsleute und Eisenbahnbauer.

Eine Stadt im grünen Rausch

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1856 wurde in der Region Gold gefunden. Seitdem geht es bergauf mit Denver. Die 700.000-Einwohner-Stadt vor der Kulisse der Rocky Mountains wählt seit sechs Jahrzehnten demokratische Bürgermeister, sie wirkt liberal, entspannt und aufgeräumt.

Draußen, zwischen Wolkenkratzern und Gründerzeit-Backsteinhäusern, knallt die Sonne vom Himmel. Jared Ozga, ein blonder Mittdreißiger aus Chicago, sitzt am Steuer seines elektrischen Tuk Tuks. Er fährt Touristen durch die Innenstadt und erzählt ihnen in zweieinhalb Stunden Anekdoten und Skurriles aus 166 Jahren Stadtgeschichte.

Trotz dreispuriger Straßen ist wenig Lärm zu hören. Menschen spazieren auf breiten Gehwegen, auch die Radfahrer haben eigene Spuren. „Denver hat vor rund 20 Jahren damit begonnen, fußgängerfreundlicher zu werden“, erklärt Jared.

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Auf der Brücke über dem South Platte River stoppt Jared und zeigt auf den Fluss, an dessen Ufer Einheimische die Sonne genießen. „Hier wurde Mitte des 19. Jahrhunderts Gold gefunden. Das hat viele Leute nach Denver gezogen.“

Einen Boom erlebt die Stadt gerade wieder, junge Leute und Start-ups zieht Denver an. „Das liegt an der Marihuana-Legalisierung seit 2014“, sagt Jared. „Früher war es der Goldrausch, jetzt ist es der grüne Rausch.“

Hier zeigt sich in Denver noch der Wilde Westen

Tatsächlich hängt der charakteristische Duft an vielen Ecken in der Luft. „Liegen deshalb jetzt überall Bekiffte auf der Straße herum?“, fragt Jared seine Gäste und lacht dabei. „Nein, natürlich nicht! Ich bin permanent bekifft, und euch wäre das nicht mal aufgefallen.“

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Jareds Großmutter kam im Zweiten Weltkrieg aus Polen in die USA. Er selbst hat seine Heimat Chicago für Colorado eingetauscht und lebt seit 2015 in Denver, wo er als Geschäftsführer des Start-ups „eTuk Ride“ emissionsfreie Stadtführungen anbietet.

Der Amerikaner liebt Denver. „Die Stadt ist sicher und lebenswert“, sagt er. Vor dem Denver Center of Performing Art hält er an und imitiert, wie sich das Publikum bis heute verhält: „Während in New York artig applaudiert wird, klatscht, grölt und poltert das Publikum hier immer noch wie im Wilden Westen – sogar dann, wenn es ein Ballett ist.“ Anlass dazu dürfte es häufig geben: Denver beherbergt neun Theaterhäuser.

Kunst prägt das Stadtbild in vielen Vierteln. Das vermitteln auch Denver-Graffiti-Touren. Rund 1000 großformatige Wandmalereien von Hunderten Künstlern zieren Häuserwände, Einrichtungen und Straßen – dank finanzieller Unterstützung lokaler Unternehmen.

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George Baker, afroamerikanischer Künstler mit Rasta-Mähne, gestaltet eine Wand mit Sprüchen wie: „Kleine Dinge können deine Welt verändern“. Stört es ihn, dass seine Werke oft nur von kurzer Dauer sind und übermalt werden? – „Nein, wir müssen Veränderungen zulassen“, sagt George und nimmt die nächste Spraydose in die Hand. „Alles im Leben ist vorübergehend. Wichtig ist, dass wir wenigstens 15 Minuten täglich etwas machen, das wir wirklich lieben.“

Cowboys und Indianer im Museum

Wer den Weg Denvers von der Goldgräberstadt in die Moderne nachvollziehen will, muss ins Denver Art Museum. Die Sammlung westamerikanischer Kunst von den frühen 1800er-Jahren bis heute zählt zu den bedeutendsten in den USA. Typische Motive: Cowboys und Rinder, Indianer und wilde Pferde, weiter Horizont, unverbaute Wildnis und im Hintergrund tönen Streicher in Moll aus Lautsprecherboxen.

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Wie denken Amerikaner heute über die Wildwestromantik? Tom aus Kalifornien steht vor einem Gemälde des Deutsch-Amerikaners Albert Bierstadt (1830–1902): türkisfarbiger Bergsee, umgefallene Baumstämme, ein Widder, schneebedeckte Gipfel. Es heißt „Estes Park, Longs Peak“ aus dem Jahr 1877.

Besucher Tom interessiert, wie die Landschaften früher ausgesehen haben und wie sich sein Land verändert hat. „Die Bilder mit der indigenen Bevölkerung machen etwas mit mir. Sie lassen mich nicht kalt. Ich sehe die unfassbare Schönheit dieser Kultur, gleichzeitig macht es mich traurig, weil mir bewusst ist, dass das heutige Amerika Millionen indigenen Menschen das Leben gekostet hat.“

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Randy, ein Hobbymaler aus Missouri, staunt über „A Chance Shot“, gemalt um 1900 von Philip R. Goodwin (1881–1935): Ein Cowboy in rot-schwarz-kariertem Hemd und Rangerhut steht neben seinem Pferd, das Gewehr auf einen Hirsch gerichtet vor der Kulisse der Rocky Mountains. „So war das damals. Der Kerl musste schießen, um zu überleben“, sagt Randy. „Die Künstler wussten genau, was sie taten. Jeder Pinselstrich sitzt. Die Bilder zeigen aber auch, dass unser Fortschritt vieles zerstört hat.“

Der Tresen im Restaurant stammt aus Deutschland

Beth, Künstlerin aus Denver, geht an den alten Wildwest-Gemälden vorbei Richtung Gegenwartskunst aus dem Westen der USA. „Ich war als Kind mit meinen Eltern ständig in Museen in New York und habe Bilder mit Cowboys und Indianern schon so oft gesehen“, sagt sie und verdreht die Augen. „Früher habe ich diese Zeit sehr romantisiert. Aber über die Jahre hat sich mein Blick auf diese Bilder verändert. Mir wurde klar, was wir Weißen dieser Kultur angetan haben. Inzwischen schätze ich diese Bilder allenfalls noch wegen der Technik.“

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Doch vor einem Werk verweilt Beth immer, wenn sie das Denver Art Museum besucht: „Clear Creek, North Falls“ aus dem Jahr 2014 zeigt einen Wasserfall im Gebirge. Keine Menschen. „Die Malerin, Joellyn, war meine Freundin. Sie hielt ihr Leben lang geheim, dass sie indigenes Blut in sich trägt und hatte immer Angst, von jemandem Rothaut genannt zu werden. Sie schämte sich auch, weil sie nie eine Kunstschule besucht hatte und sich alles selbst beibrachte“, sagt Beth.

Jetzt hängt Joellyns Arbeit zwischen jenen der weißen Künstler statt in der indigenen Abteilung. „Vielleicht weiß nicht einmal das Museum, dass sie eine Indigene war“, vermutet Beth. Auf der Tafel der Künstlerin steht: Joellyn Duesberry, American (1944–2016).

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Viele Gemälde aus dem Museum würden sich auch im Restaurant „Buckhorn Exchange“ gut machen, wo Büffel, Bär und Bison von der Wand starren. Das Restaurant wurde einst als Saloon von Henry H. Zietz gegründet. Der deutschstämmige Einwanderer war als Zwölfjähriger Mitglied der Gang um Buffalo Bill. Mit ihm verband Zietz eine lebenslange Freundschaft, ebenso wie mit Häuptling Sitting Bull; er nannte Zietz seiner kleinen Statur wegen „Shorty Scout“.

Im Obergeschoss steht noch der Eichenholztresen, der 1857 in Deutschland gebaut und von der Familie Zietz nach Denver gebracht worden war. Dort, wo Cowboys und Indianer der Legende nach friedlich beisammensaßen, bestellen Gäste bis heute ihre Drinks.

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Tipps und Informationen:

Urban Denver City eTuk Tour: Die Stadtrundfahrt durch Denver im elektrischen Tuk Tuk gibt Einblicke in lokale Hotspots von historisch bis trendy. Sie kostet pro Person ab 60 Euro, etukride.com/denver/public-tours/denver-city-tour.

Denver Art Museum: Die 1893 gegründete Kunstgalerie ist das bedeutendste Museum Denvers. Neben dem 1971 von Gio Ponti fertiggestellten North Building umfasst es das 2006 von Daniel Libeskind gebaute Hamilton Building. Eintritt: 25 Euro, denverartmuseum.org/en.

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Shopping: Cowboyhüte, Cowboystiefel, Westernhemden gibt es im „Rockmount Ranch Wear“. Inhaber Jack A. Weil, genannt Papa Jack, gründete den kleinen Laden in der 1626 Wazee Street im Jahr 1946. Er steht für Westernkleidung wie Henry Ford für das Auto; „Papa Jack“ stellte die ersten Westernhemden mit Druckknöpfen her und war maßgeblich daran beteiligt, Westernmode populär zu machen (rockmount.com).

Weitere Informationen: denver.org

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Visit Denver. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit.

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Author: Barbera Armstrong

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